Beim Thema Konsistenz neigen Anleger zur Schwäche. Zu den üblichen gerne plakativ unter „Angst und Gier“ zusammengefassten Triebfedern der meisten Investoren gesellt sich die selektive und nicht schlüssige Beurteilung bestimmter Veränderungen. Besonders aufschlussreich ist dies beim Thema Zinsanstieg…

Beim Thema Zinsanstieg scheiden sich seit Jahren die Geister. Die einen glauben an ewig niedrige Zinsen, andere glauben an den morgigen Rentencrash mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Anleiherenditen. Richtig wirr wird es bei der Abschätzung möglicher Folgen eines Zinsanstiegs auf andere Anlageklassen. Am Finanzmarkt sollte man nichts ausschließen, von daher lässt sich die Frage nach dem Zinsanstieges von „ob“ auf „wann“ ändern. Der Klarheit halber ist noch eines anzumerken. Wenn wir an dieser Stelle von einem Zinsanstieg oder Zinsveränderungen sprechen meinen wir die relevanten Zinssätze am mittleren und langen Ende des Laufzeitspektrums. Es soll hier nicht um das eher symbolische Geplänkel der Notenbanken gehen, dass die Finanz-Unterhaltungs-Industrie täglich ebenso dankbar wie nervtötend wiederkäut.

Bei der Beurteilung der aktuellen Bewertung sind sich viele Anleger einige. Die Rentenpapiere sind zu teuer. Auch bei der Schlussfolgerung herrscht in weiten Teilen Einigkeit. Wenn die Anleihen teuer sind, dann müsse man Aktien kaufen. Diese Meinung hört man von privaten wie institutionellen Anlegern.

Vergessen werden bei dieser Einschätzung (mindestens) zwei Punkte. Zum einen ist die Bewertung von Anlageklassen kein Münzwurf, bei dem das Ergebnis entweder Kopf oder Zahl, ist. Man kann nicht aus einer wahrgenommenen Überbewertung der einen Kategorie auf eine zwingend günstige Bewertung der anderen Kategorie schließen. Nur weil jemand Anleihen für teuer hält müssen Aktien nicht günstig sein. Sie können günstig sein, sie können ebenfalls teuer sein.

Der zweite Punkt ist das Zusammenspiel der Entwicklung verschiedener Anlageklassen. Die gesunkenen Zinsen wirken sich über die Bewertung der zukünftigen Zahlungsströme auf alle entsprechenden Anlagen zunächst einmal positiv aus. Wenn Sie in zehn Jahren 1000 Euro erhalten sind diese vom heutigen Zeitpunkt aus betrachtet mehr wert, wenn die Zinsen niedrig sind. Das ist das Barwertkonzept. Hier ein Beispiel für die Berechnung.

Zunächst ein Blick auf die Veränderung der Zinskurven in den letzten Jahren. Der Rückgang der Zinssätze über alle Laufzeiten ist erheblich.

Die folgende Tabelle zeit die Auswirkungen, die veränderte Zinsen auf den Barwert von Zahlungsströmen haben. Dargestellt sind in der absichtlich einfach gehaltenen Abbildung Zahlungsströme von je 100 Euro über 20 Jahre. Diese werden einmal gar nicht und in den weiteren Spalten mit unterschiedlichen hohen Zinssätzen diskontiert. Wichtig ist an dieser Stelle nicht, inwiefern ein Wert von 2,5% oder 5% sinnvoll ist. Wichtig ist zu zeigen, wie sensibel langfristige Cash Flow Reihen auf veränderte Zinssätze reagieren.

Dies gilt natürlich auch umgekehrt. Wenn Sie in zehn Jahren 1000 Euro bezahlen müssen, ist der Barwert ebenfalls größer, wenn die Zinsen niedriger sind. Das ist das Problem vieler Pensionskassen, die durch den drastischen Rückgang der Renditen noch deutlicher als ohnehin schon die Unterdeckung gerutscht sind. Für Pensionskassen in Unterdeckung kann sich also ein Zinsanstieg positiv auswirken. Das ist kein Geheimnis und wird offen kommuniziert, weshalb man bei vielen Pensionskassen nicht sonderlich gut auf die Experimental-Theoretiker der EZB zu sprechen ist.

Der erwähnte Lösungsansatz, den viele für sich entdeckt haben ist der Wechsel von Anleihen in Aktien. Mit mehr Risiko müsse man ja auch mehr verdienen, und da die Renditen so tief seien, müsste man halt auf Aktien umsatteln. Abgesehen davon, dass man sich trefflich darüber streiten kann, wie man Risko definiert sollte man nicht vergessen was eine Aktie ist. Sie ist nichts anderes als die Verbriefung zukünftiger Zahlungsströme Der Unterschied zur Anleihe ist die Unsicherheit dieser zukünftigen Zahlungen. Die Unsicherheit, ob es zu einer Pleite kommt, hat der Anleger in beiden Fällen.

Sie wissen nicht, wie viel ein Unternehmen in den kommenden Jahren verdient. Man kann so etwas schätzen, aber erfahrungsgemäß ist die Treffsicherheit bei der Breite der Analysten eher dünn. Relativ gut lässt sich abschätzen, ob Firmen künftig Probleme bekommen. Das lässt sich seit Jahren im Bergbausektor (siehe etwa „Keine Entwarnung bei den Minen“ Teil 1 und Teil 2 aus dem Jahr 2013) oder auch derzeit im Energiesektor sehen. Das ist sinnvoll aber es ist nicht zu verwechseln mit dem Versuch Zahlungsströme und Wachstumsraten über die kommenden dreißig Jahre in Cents pro Aktie zu prognostizieren. Genau dies wird aber praktiziert.

Die wie auch immer ermittelten Schätzungen werden im nächsten Schritt diskontiert. Und spätestens an dieser Stelle stolpert man auf die Abhängigkeit der Unternehmensbewertung von der Zinsentwicklung. Kommt es zum „Rentencrash“, oder sachlicher ausgedrückt zu starken Kursverlusten am Anleihemarkt und somit einem großen Renditeanstieg, so verringert sich auch der Barwert der Zahlungsströme, für die die Aktie steht. Nicht nur Immobilienpreise sind im Niedrigzinsumfeld hoch bewertet. Das gilt auch für Aktien.

Wir sind kein Freund der alleinigen Nutzung des DCF-Ansatzes (discounted cash flow) bei der Bewertung von Aktien. Das obige Beispiel zeigt, wie sich allein die Veränderung der Zinskurve auf die Bewertung der zukünftigen Zahlungsströme aus heutiger sich auswirkt.

Die Auswirkung unausweichlicher Schätzfehler bei den Zahlungsströmen kommen zu diesen Veränderungen hinzu. Man diskontiert also unbekannte Cash Flows mit einer Zinskurve die man zwar heute aber natürlich nicht morgen und in den kommenden dreißig Jahren kennt. Die mangelnde Treffsicherheit, um es höflich zu formulieren, wird in der Regel lapidar mit dem Sätzlein „besser als nichts“ beantwortet. Das ist eine ziemlich alberne Ausrede. Oder soll, wer nichts anderes zu beißen hat, Knollenblätterpilze zu sich nehmen? Manches etwas ist schlimmer als nichts. Wenn man weiß, dass man etwas nicht weiß, ist man schon einen Schritt weiter, als wenn man denkt, man wisse etwas, was man nicht weiß. Viele Anleger wissen das aus leidvoller Erfahrung.

Die Unsicherheit der Cash-Flows ist der Unterschied der Anleihe zur Aktie. Bei der Anleihe entspricht die Rendite über die Laufzeit der Rendite zum Erwerbszeitpunkt. Wenn Anleger Bunds bei 0,60% kaufen, kommen sie für die kommenden zehn Jahre auf 0,6% p.a. Steigt die Rendite zwischenzeitlich auf 3% kommt es zu Kursverlusten, die sich allerdings nicht auf die Rendite des Anlegers auswirken, der die Papiere bis zur Fälligkeit hält. Das heißt nicht, dass dies besonders attraktiv aussieht. Es bedeutet jedoch, dass sich zwischenzeitliche Renditeanstiege nicht auf die Rendite der Anlage über den gesamten Anlagezeitraum auswirken. Es kommt zu temporären Kursschwankungen, die mit dem Tag der Fälligkeit enden.

Bei Aktien sieht das anders aus. Da diese Papiere keine definierte Fälligkeit und keine fixen Kupons haben, gibt es keine mathematisch exakten Bewertungen. Man sollte Dividenden daher nicht mit Zinskupons gleichsetzen. Das gilt im positiven Sinne wie im negativen Sinne. Die eine Firma steigert ihre Dividenden regelmäßig und kann diese selbst finanzieren. Die andere Firma schüttet munter aus der Substanz oder schuldenfinanziert aus und wundert sich später gemeinsam mit den verbliebenen Aktionären über den angerichteten Scherbenhaufen. Man denke nur an einige deutsche Versorger, bei denen viele Entscheider in den Gremien der kommunalen Anteilseigner offenbar selbst diese einfachsten Zusammenhänge nicht verstanden haben. Dennoch dürfen diese Personen Finanz- und Anlageentscheidungen treffen. Das ist eine der vielen teuren Merkwürdigkeiten hierzulande. Aber das kommt dabei heraus, wenn die wichtigste Qualifikation für einen Finanzposten bei der Gemeinde die Amts-Laufbahn ist.

Richtig würdelos wird es dann, wenn mancher hinterher alles auf die Banken oder Unternehmen schieben will und die eigene Qualifikation nicht im Ansatz hinterfragt. Wer sich nicht die Mühe macht, ab und zu in die Finanzunterlagen einer Beteiligung zu schauen, ob deren Dividendenzahlungen überhaupt gedeckt sind, der ist leider selber schuld an seiner Misere. Wer nicht weiß, wie ein Swap funktioniert, der sollte so lange keinen abschließen, bis er es verstanden hat. Es macht ja auch niemand beim „Bungee ohne Seil“ mit, nur weil jemand das anpreist. Aber der Mensch mag es beim Thema Geld gern einfach und die „cover your ass“-Mentalität greift leider in jedem Sektor um sich. Man lässt sich fürs Entscheiden bezahlen, die einzige Entscheidung, die man trifft besteht dann aber in der Auslagerung von Entscheidungen. Trostlos, aber solange es für den BMW und gelegentlich fürs Wellness Wochenende in der Schweiz reicht, dann kann Papi oder Mami ganz doll stolz sein auf den beruflichen Erfolg. Auch Erfolg ist eben eine Definitionsfrage.

Es macht nicht wirklich große Freude, sich ein Bild stark steigender Renditen vorzustellen. Mit der Vorstellung, die Risiken eines Zinsanstiegs durch eine Erhöhung des Risikos minimieren zu können sind viele Anleger allerdings auf dem Holzweg.

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